Krise in der Branche spitzt sich zu

Unterstützung für die Rübe … überall?

Nationale Eingriffe auf dem Vormarsch – fairer Wettbewerb im Rückwärtsgang

von Dr. Hans-Jörg Gebhard

Auf dem Zuckermarkt der EU tobt nach wie vor ein beinharter Wettbewerb. Nahezu alle Zuckerunternehmen der Gemeinschaft schrieben in den letzten Jahren im Kerngeschäft rote Zahlen und die Rübenanbauer mussten vielerorts mit nicht kostendeckenden Preisen vorlieb nehmen. Vor wenigen Wochen ist ein französisches Zuckerunternehmen gar zu einer Geldstrafe von fast 400.000 € verurteilt worden, weil es seine Lieferanten nicht rechtzeitig bezahlt hat.

Zwar haben die Zuckerpreise auf dem EU-Binnenmarkt seit ihrem Allzeit-Tief im Herbst 2019 etwas angezogen, aber von April bis Juli 2020 ist der Anstieg bei rund 375 €/t Weißzucker ins Stocken geraten. Ob die psychologisch wichtige Marke von 400 €/t mit dem Beginn der Auslieferung von Ware aus der 2020-er Ernte überschritten werden kann, dürfte das EU-Preisreporting frühestens im November zeigen. Die fundamentalen Daten des Marktes sprechen eigentlich dafür. Die Zuckererzeugung der EU ist von 21,3 Millionen t aus der Ernte 2017 über 17,6 Millionen t aus der Ernte 2018 auf 17,4 Millionen t in 2019 gefallen (jeweils inklusive Großbritannien). Aus der diesjährigen Kampagne ist aufgrund der 2020 nochmals gegenüber 2019 um 3% rückläufigen Anbauflächen und der schlechten Ertragsaussichten insbesondere im wichtigsten Erzeugungsland Frankreich mit einem weiteren Rückgang zu rechnen. Vieles spricht dafür, dass die magische Grenze von 17 Millionen t unterschritten wird.

Neben der nun im dritten Jahr in fast ganz Europa herrschenden Trockenheit trägt dazu insbesondere die heuer stark aufgekommene viröse Vergilbung bei. Nach dem Bann der neonikotinoidhaltigen Saatgutbeizen im April 2018 zeigt sich im zweiten Anbaujahr ohne diesen Schutz eine enorme Zunahme der Läusepopulationen. Dass die Läuse massiv Vergilbungsviren übertragen, lässt sich bei Überlandfahrten auch in Deutschland in fast allen Anbaugebieten erkennen.

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Foto: dzz
Typische Merkmale für viröse Vergilbung

Mit Frankreich greift nun auch ein europäischer Mitgliedstaat, der bisher keine besonderen Schutzmaßnahmen für seine Rübenanbauer und Zuckerunternehmen angewendet hat, zu schärferen Waffen. Am 3. September hat die Regierung einen Gesetzesentwurf für eine Notfallzulassung von Neonikotinoid-Beizen in Zuckerrüben auf den Weg gebracht, Mitte September wurde er in zwei Parlamentsausschüssen behandelt und am 5. Oktober stand die erste Lesung im Plenum an. Es ist, wenn man die öffentliche Diskussion in Frankreich verfolgt, mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass bis Ende Oktober eine Notfallzulassung gewährt wird. Dabei belassen es aber unsere westlichen Nachbarn nicht. Die Regierung hat am 16. September einen interministeriellen Delegierten für den Zuckersektor eingesetzt, der an Landwirtschaftsminister Julien Denormandie berichtet, wie es Staatspräsident Macron selbst im Februar auf der Landwirtschaftsausstellung Salon d‘Agriculture versprochen hatte. Der Auftrag für den Krisenmanager lautet, zur Entwicklung des Sektors in Frankreich und zur strukturellen Verbesserung seiner internationalen Wettbewerbsfähigkeit unter Berücksichtigung seiner wirtschaftlichen Lage beizutragen. Dazu soll ein Strategieplan aufgestellt und umgesetzt werden, staatliche Maßnahmen zugunsten des Sektors eingerichtet und Innovationen gefördert werden. Zuallererst soll aber ein staatlicher Unterstützungsplan für den Sektor zur Bewältigung der Krise durch die viröse Vergilbung umgesetzt werden. Dazu werden erhebliche staatliche Mittel bereitgestellt.

Unsere südöstlichen Nachbarn in Österreich springen ihren Rübenanbauern und Zuckerfabriken ebenfalls zur Seite. Obwohl es in Österreich schon seit zwei Jahren eine Notfallzulassung von Neonikotinoid-Beize in den wichtigsten Rübenanbau-Bundesländern gibt, ist dort die Anbaufläche trotzdem von über 42.000 ha in 2017 auf unter 27.000 ha in diesem Jahr gesunken. Dafür ist insbesondere auch ein Rüsselkäfer verantwortlich, der heuer wiederum mehrere tausend Hektar Zuckerrüben im Jugendstadium aufgefressen hat. Deshalb hat das österreichische Zuckerunternehmen Agrana die Schließung der Zuckerfabrik Leopoldsdorf
angekündigt, wenn nicht in 2021 bis 2023 mindestens 38.000 ha Zuckerrüben angebaut werden. Es bliebe dann allein die Zuckerfabrik Tulln übrig.

Zur Rettung von Leopoldsdorf hat Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger am 17. September zu einem „Zuckerrübengipfel“ geladen, auf dem ein „Pakt zur Rettung des heimischen Zuckers“ zwischen dem Bund, dem Land Niederösterreich, der Agrana und den Rübenbauern geschlossen wurde. Bund und Land werden ab dem kommenden Anbaujahr jedem Rübenanbauer, der wegen des Rüsselkäfers Zuckerrüben umbrechen muss, eine Wiederanbauprämie von 250 €/ha zahlen, die Agrana übernimmt dann zusätzlich noch die Kosten des Saatguts. Außerdem wurde die Verlängerung der Notfallzulassung der Neonikotinoid-Beizung in Aussicht gestellt. Ziel des Paktes sei es, sagte die Ministerin, die Versorgungssicherheit in Österreich mit Zucker sicherzustellen. Zieht man dazu noch in Betracht, dass 11 von 18 EU-Mitgliedsstaaten (ohne UK) mit Zuckererzeugung gekoppelte Zahlungen für den Rübenanbau gewähren, sind Deutschland und die Niederlande die letzten Länder, in denen die Rübenanbauer auf sich allein gestellt bleiben.