Kalorien müssen die Zielmarke sein, sonst droht Verbrauchertäuschung

Mit dem Fokus auf Zucker wird Reformulierung zum Bumerang

Noch 2018 soll ein Konzept für eine Nationale Reduktionsstrategie für Zucker, Fett und Salz in Fertigpro-dukten erarbeitet und mit wissenschaftlich fundierten, verbindlichen Zielmarken versehen werden. Das sieht der Koalitionsvertrag explizit vor, und für Bundeslandwirtschaftsministerin Klöckner hat das Thema „Reformulierung“ Priorität.

Der Druck auf Zucker hat damit noch einmal deutlich zugenommen, zumales derzeit auch auf Seiten des Lebensmittelhandels ausgesprochen populär ist, sich mit neuen Produkten, die weniger Zucker enthalten, zu profilieren.

Dass die Politik angesichts derweiterhin hohen Verbreitung vonÜbergewicht und damit einherge-henden ernährungsmitbedingten Erkrankungen nach Wegen sucht, Übergewicht einzudämmen, ist uneingeschränkt zu unterstützen. Sich dabei auf Zucker zu fokussieren, ist allerdings ein Irrweg und kein Beitrag zur Lösung des Übergewichtsproblems, sondern Marketing bzw. eine vergebene Chance, und öffnet der Verbrauchertäuschung Tür und Tor. Eine Nationale Reduktionsstrategie, die einzelne Lebensmittel, beziehungsweise einzelne Zutaten, in den Fokus rückt, wird nicht dazu beitragen, Übergewicht und Adipositas einzudämmen. Sie kann im schlimmsten Fall sogar zu einer erhöhten Kalorienaufnahme führen. Schließlich erwarten Verbraucher von zuckerreduzierten Produkten, dass diese auch weniger Kalorien enthalten.
 

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Immer wieder wird auch außer Acht gelassen, dass die Ursachen für Übergewicht komplex sind und die Entstehung von Übergewicht von zahlreichen Faktoren beeinflusst wird. Eine Rolle spielen z.B. zu wenig Schlaf, Stress, Bewegungsmangel oder eine entsprechende genetische Veranlagung.

 

Die Kalorienbilanz zählt

Entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung des Körpergewichts hat die Kalorienbilanz. Wer auf Dauer mehr Kalorien zu sich nimmt, als er verbraucht, dessen Körpergewicht wird steigen. Ob die überschüssigen  Kalorien aus Fett, Proteinen oder Kohlenhydraten (wie Zucker) stammen, ist letztendlich unerheblich.
Zucker ist per se kein Dickmacher. Das bestätigen sowohl die wissenschaftliche Stellungnahme der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) zu Referenzwerten für die Zufuhr an Kohlenhydraten und Ballaststoffen als auch die Kohlenhydratleitlinie der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE).
Ohnehin wird der Zuckerverzehr in den Medien, in der Politik und auch seitens der Wissenschaft häufig überschätzt. Die aktuellsten Daten liefert derzeit die Nationale Verzehrsstudie II, die vom bundeseigenen Max-Rubner-Institut (MRI) durchgeführt wurde. Demzufolge werden in Deutschland etwa 50 g Saccharose pro Tag verzehrt. Das entspricht in etwa 18 bis 20 kg Saccharose pro Kopf und Jahr bzw. der Größenordnung von 10 Energieprozent.
Angesichts der Tatsache, dass die Kalorienbilanz für das Körpergewicht entscheidend ist, müssen Kalorien die Zielmarke bei Reformulierungsmaßnahmen sein. Nur wenn Rezepturänderungen zu einer erheblichen Kalorienreduktion führen, können sie Verbrauchern helfen, Übergewicht vorzubeugen.

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Zuckerreduktion heißt Zuckerersatz

Weniger Zucker heißt nicht zwangsläufig weniger Kalorien. Nur bei Getränken hat weniger Zucker zugleich einen geringeren Kaloriengehalt zur Folge. Hier wird Zucker durch Wasser (und Süßstoffe) ersetzt. Bei festen Lebensmitteln ist das sehr viel komplizierter. Der Zucker wird zwar reduziert, muss aber – aufgrund seiner vielfältigen funktionellen Eigenschaften – durch andere Zutaten ersetzt werden, und die bringen in der Regel auch Kalorien mit.
Werden Kalorien, die durch die Reduktion des Zuckers eingespart werden, im Produkt nur durch Kalorien anderer Nährstoffe ersetzt, ändert sich an der Energiedichte gar nichts. Das ist keine ehrliche Reformulierung. Es ist egal, ob Zucker durch Stärke ersetzt wird wie bei Frühstückscerealien oder Backwaren oder durch Fett oder Maltodextrin. Weniger Zucker heißt hier, dass die Energiedichte mehr oder weniger unverändert ist. Infolgedessen wird sich auch an der persönlichen Kalorienbilanz des Konsumenten nichts ändern, wenn das Essverhalten sonst gleich bleibt.

 

Verbrauchertäuschung – der Fokus auf  Zucker wird zum Bumerang

Der Fokus auf einzelne Nährstoffe kann schnell zum gefährlichen Bumerang werden, weil er den Blick auf die tatsächlichen Ursachen für Übergewicht verstellt. Die Werbeangaben zum Zuckergehalt sagen nichts über den Kaloriengehalt aus und können Verbraucher in die Irre führen und zu falschen Schlüssen verleiten. Die Ergebnisse einer 2015 vom Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv) in Auftrag gegebenen Untersuchung haben gezeigt, dass Verbraucher mehrheitlich davon ausgehen, dass ein reduzierter Zuckergehalt bzw. der völlige Verzicht auf die Zugabe von Zucker gleichbedeutend mit einem niedrigeren Energie-gehalt eines Produktes ist. Fast70Prozent der Verbraucher glauben,dass „ungesüßte“ Produkte oder Produkte „ohne Zuckerzusatz“ auch weniger Kalorien liefern.
Eine von der Wirtschaftlichen Vereinigung Zucker e. V. durchgeführte repräsentative Befragung hat diese Ergebnisse bestätigt. Zwei Drittel glaubten, dass Lebensmittel, die weniger Zucker enthalten, kalorienärmer sind.

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Doch damit nicht genug: Mehr als die Hälfte der befragten Verbraucher, die zuckerreduzierte oder zuckerfreie Produkte kaufen, glaubte, dass sie guten Gewissens mehr essen kann, ohne davon dick zu werden. Beim Kampf gegen Übergewicht kommt es entscheidend auf die Kalorienbilanz an. Deswegen setzt eine ehrliche Reformulierung auch bei den Kalorien an. Dass das funktionieren kann, zeigen kalorienreduzierte Lebensmittel, die im Sinne der europäischen Verordnung (EG) Nr.1924/2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben (EU-Health-Claims-Verordnung) gekennzeichnet sind. Die Angabe „kalorien-reduziert“ zeigt an, dass das vorliegende Produkt mindestens 30 Prozent weniger Kalorien hat als vergleichbare Produkte.

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Marcus Otto, Geschäftsführer, Verein der Zuckerindustrie e.V.

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Mit dem Fokus auf Zucker wird Reformulierung zum Bumerang