Sonstiges

Blick auf Hofstelle, Getreidelager und Verwaltungsgebäude. FOTO: Wenzl

Erfahrungsberichte

Landwirt­schaft in Zeiten des Krieges

Interview mit Johann Wenzl und Dietrich Treis

Von Dr. Helmut Ring Herr Wenzl, Herr Treis, wie haben Sie reagiert, als Sie die Nachricht vom russischen Angriff auf die Ukraine ehalten haben? Was waren die ersten Gedanken, die ersten Empfindungen? Wenzl: Die ersten Gedanken waren: entsetzt und besorgt, wie es weitergeht. Wir verfolgen natürlich intensiv, was alles passiert. Wir hätten nie gedacht, dass einmal noch sowas kommt, auch vom Einmarsch der Russen in 2014 haben wir nicht viel mitbekommen. Treis: Ich habe noch in der Nacht zum 24. Februar einen Anruf bekommen, dass die Botschaft evakuiert wird und trotzdem nicht an einen Krieg mit einem Angriff auf Kiew gerechnet. Als ich morgens um 5:00 Uhr die Detonationen der Luftabwehr gehört habe, gab es allerdings keinen Zweifel mehr. Ich hatte vorsichtshalber nachts schon die Sachen gepackt, das Auto war schon länger immer vollgetankt, und bin um 6:00 Uhr aus Kiew nach Süden raus gefahren, danach zur rumänischen Grenze.

Wie nahe kam Ihnen das Kriegsgeschehen? Hat man direkt etwas mitbekommen? Wie ist die Lage der Betriebe?

Wenzl: Vom Kriegsgeschehen haben wir direkt nichts mitbekommen. Es hat einige Male gekracht, ansonsten keine Auswirkungen. Auch auf den Feldern (evtl. Panzer durchgefahren oder Minen) war nichts zu spüren. Im Dorf mussten acht Männer zum Militär, diese sind derzeit noch nicht an der Front, aber es wurde ihnen jetzt schon angedeutet. Am Betrieb sind zwei Traktoristen betroffen, die ersetzt werden konnten. Somit hatten wir bislang kein Personalproblem durch den Krieg. Treis: Der Betrieb liegt 70km östlich von Kiew. Das nächste Dorf, das von den Russen dauerhaft besetzt war, liegt ca. 15 km vom Betriebshof und 3 km von unseren Feldern entfernt. Die Russen sind bis knapp 5 km zum Betriebshof herangekommen. Einen Teil der Felder mussten wir auf Minen absuchen, bevor wir mit der Frühjahrsbestellung beginnen konnten. Auf einem Feld hatten wir mehrere Krater von Granateinschlägen, auf einem Feld haben wir beim Spritzen eine Panzermine gefunden – nachdem wir mit der Scheibenegge und der Sämaschine darübergefahren waren. Einen Kilometer von unserem Feld entfernt, ist ein Landwirt mit dem PKW auf eine Mine gefahren. Wie durch ein Wunder hat er überlebt. Wir waren also sehr nah dran, zum Glück auf der richtigen Seite.

Sie sind derzeit in Deutschland. Wie ist seitdem die Einreise möglich? Flugzeug oder Auto? Wenzl: Kiew hat derzeit überhaupt keinen Flugverkehr, somit ist nur die Einreise mit dem Auto über Ungarn möglich. An der ungarischen Grenze sind umfangreiche Kontrollen; aber die Straßen in der Ukraine sind gut ausgebaut worden. Das haben wir jetzt erst so mitbekommen, seit wir mit dem Auto unterwegs sind. Treis: Zur Zeit ist eine Einreise nur mit dem PKW oder dem Zug möglichen. Sehr problematisch sind die Wartezeiten an den Grenzen. Ich bin bisher zwei Mal ein- und ausgereist, einmal habe ich sechs Stunden gewartet, das zweite Mal über vier Stunden. LKW stehen 5 - 7 Tage. In der Ukraine gilt eine Ausgangssperre zwischen 23:00 Uhr und 5:00 Uhr, d.h. in dieser Zeit darf man nicht fahren.

Wie ist in der Ukraine die Meinung über Deutschland? Wenzl: Die Einstellung gegenüber Deutschland ist überwiegend positiv, da haben sich keine großen Veränderungen zur Zeit vor dem Krieg ergeben. Der deutsche Kanzler Scholz wurde einige Male kritisiert wegen seiner zögerlichen Haltung; aber grundsätzlich bekommen wir das auf dem Land nicht so mit. Treis: Ich lebe seit über 20 Jahren in der Ukraine, grundsätzlich ist die Meinung über Deutschland sehr gut, ich hatte nie negative Erlebnisse. Natürlich ist die Enttäuschung groß, dass Deutschland sehr zögerlich mit der Waffenlieferung ist. Die 5.000 Helme, die als erstes versprochen wurden fand ich persönlich sehr peinlich, ebenso, dass später die versprochene Hilfe nicht oder nur sehr spät geliefert wurde.

Die große Hilfsbereitschaft der Bevölkerung hat sicherlich einiges wieder gut gemacht.

Auf einem Schlag gab es Krater von mehreren Granateneinschlägen. FOTO: Treis

Zur Landwirtschaft – was hat sich seit dem verändert? Wenzl: Das Wintergetreide war ja schon vor Kriegsausbruch ausgesät. Zum Glück hatten wir alles was Dünger angeht, bereits auf Lager bei uns im Betrieb. Die Aussaat der Sommerkulturen konnte ohne Probleme durchgeführt werden; auch die notwendigen Pflanzenschutzmittel haben wir bekommen.

Was den Diesel angeht, so haben wir einen 50.000 l Tank und 2 x 10.000 l als Reserve. Diese haben wir zum Glück noch Ende letzten Jahres aufgefüllt. Unser Lieferant hat, wenn auch etwas verzögert, immer geliefert, also von der Seite haben wir keine Einschränkungen erlebt. Diesel kostet auch einiges mehr zum Vorjahr, aber es sind nicht die hohen Preissprünge wie bei uns. Auch Düngemittel und PSM werden teurer, aber in begrenztem Umfang. Bei der P und K Düngung werden wir zukünftig etwas sparsamer umgehen, der Stickstoffeinsatz bleibt wie bisher bestehen.

Die Getreideernte haben wir erst um den 10. August abgeschlossen; diese wurde aufgrund von Regen einige Male unterbrochen. Mit den Erträgen sind wir zufrieden; wir haben durchschnittliche Erträge erreicht. Beim Weizenverkauf haben wir bereits im Januar Kontrakte mit einer Mühle in der Ukraine abgeschlossen, diese wird von uns kontinuierlich beliefert. Von der Ernte 2021 war alles verkauft und auch abgeliefert. Beim Mais haben wir von der Ernte 2021 fasst alles noch auf Lager, in den letzten Wochen wurden einige Lkws abgeholt, diese gehen nach Odessa zum Hafen (das ist die günstigste Variante). Auch vom Raps wurde schon ein Teil verkauft. Wichtig ist – und das ist unser Konzept – dass wir eine gesamte Ernte aufs Lager nehmen können und somit nicht an bestimmte Zeiten zur Ablieferung gebunden sind. Ausserdem haben wir sehr gute Kontakte zur Vermarktung, wenngleich sich auch die Transportkosten etwas erhöht haben.

Nachdem die Getreidepreise auch angestiegen sind, sind wir insgesamt gesehen, mit den Umständen sehr zufrieden.

Auch bei der Versorgung von Ersatzteilen wurde bislang alles geliefert. CASE und auch JOHN DEERE sind in der Ukraine gut aufgestellt. Kleinigkeiten nehmen wir teilweise von Deutschland aus mit, da wir jetzt sowieso mit dem Auto fahren müssen. Wir haben einen neuen Schlepper CASE gekauft, der sich derzeit noch bei uns in Deutschland befindet. Dieser könnte aber bei Bedarf jederzeit ausgeliefert werden. Treis: Die Aussaat ist verlaufen wie im Vorjahr. Wir hatten zum Glück alles vor dem Krieg bestellt bzw. schon auf dem Betrieb. Die Russen sind Ende März abgezogen und wir konnten die Frühjahrsbestellung rechtzeitig durchführen, mussten allerdings einige Felder nach Minen absuchen. Auch bei der Düngung und beim Pflanzenschutz gab es keine Probleme, auch jetzt zur Herbstbestellung gibt es fast alles. Aufgrund der Kosten und der Unsicherheit, ob man im nächsten Jahr ernten kann bzw. freie Lagerkapazität hat, wird der Aufwand an Betriebsmitteln erheblich reduziert werden. Die Ernte verlief ohne Probleme, allerdings war es zu feucht – aber das hat wohl nichts mit dem Krieg zu tun. Im Juni war Diesel knapp, inzwischen ist das aber kein Problem mehr. Es ist ungewiss, ob es zur Maisernte ausreichend Gas für die Trocknung geben wird. Wir haben seit Februar fast nichts verkauft, auch jetzt sind die Preise nicht attraktiv. Weil noch wesentlich weniger exportiert wird als exportiert werden müsste, gibt es ein Überangebot. Bei einem hohen Angebot und geringer Nachfrage bedeutet es natürlich, dass der Markt unter Druck steht und geringe Preise veranschlagt werden. Da die LKW an der Grenze fünf bis sieben Tage stehen, erhöhen sich die Transportkosten deutlich. Somit wird ein Transport auf dem Landweg weniger attraktiv. Betriebsmittel gibt es ausreichend. Der Import von Ersatzteilen, die nicht in der Ukraine am Lager sind, dauert erheblich länger als früher. Bei uns sind bisher nur drei Mitarbeiter eingezogen worden, deren Ausfall wir aber kompensieren konnten. Eine Mitarbeiterin hat gekündigt, weil sie permanent im Ausland bleiben will. In der Nähe sind einige Brücken gesprengt worden, was zu Staus und Umwegen führt. Generell gibt es natürlich eine gewisse Unsicherheit. Auch wenn wir inzwischen von den aktiven Kampfhandlungen weit entfernt sind, verursachen die regelmäßigen Raketenbeschüsse und damit verbunden Luftalarme eine ständige Anspannung. Auch die ungewisse Entwicklung des Krieges schafft Unsicherheit. Ohne Unterstützung mit Waffen aus dem Westen sinken die Chancen der Ukraine erheblich. Da den Versprechungen, die Ukraine zu unterstützen so lange es notwendig ist, nicht immer Taten folgen, wird die Situation nicht einfacher.

Derzeitige Lage: Was bekommen Sie vom Krieg mit? Treis: Vom Krieg bekommen wir nur indirekt etwas mit. Wenn man nach Kiew fährt, wird man an Straßensperren kontrolliert. Ansonsten gibt es überall Schützengräben und Verteidungsanlagen, die vorher nicht da waren. Für den ukrainischen Unabhängigkeitstag wurden verstärkte Raketenangriffe erwartet und empfohlen, Menschen­ansammlungen zu vermeiden. Daher haben wir allen Mitarbeitern einen Tag frei gegeben, nur auf dem Feld wurde gearbeitet. Wir verkaufen Raps nach Deutschland in BigBags. Die Firma, die die BigBags näht, ist in Kharkov. Die Stadt wird wesentlich stärker beschossen. Um den Unabhängigkeitstag wurden mehrere Tage Ausgangssperren verordnet, d.h. die Firma produziert nicht und wir müssen länger auf die BigBags warten. Die Mitarbeiterin aus dem Verkauf braucht wegen vielen Straßenkontrollen nicht zehn Minuten zur Arbeit, sondern zwei Stunden.

Wie ist Ihre Einschätzung? Wie wird es weitergehen? Mit welchen Auswirkungen rechnen Sie?

Wenzl: Es bleibt natürlich spannend, wie es weitergeht, man darf gar nicht daran denken. Für die Zukunft bleiben viele Fragen. Wir hoffen auf einen guten Ausgang. Ich glaube nicht, dass Russland die komplette Ukraine annektieren wird. Die Frage ist, was passiert mit dem östlichen, derzeit besetzten Teil? Evtl. kommt es nach Abschluß von dringend anstehenden diplomatischen Gesprächen zu einer Teil-Annektion im Osten? Treis: Leider sind alle Entwicklungen möglich. Die zögerliche Haltung des Westens hat den Krieg m.E. erheblich verlängert. Als sich die Russen im März aus dem Kiewer Gebiet zurückgezogen haben, wäre auch eine gute Chance gewesen, sie aus dem Osten zurück zu drängen. Diese Chance wurde verpasst. Mit jedem Tag wird mehr Infrastruktur zerstört. Bisher ist die lebenswichtige Infrastruktur der Häfen weitestgehend intakt geblieben. Das kann sich aber schon morgen ändern. Je länger der Krieg dauert, je weniger wir exportieren können, desto weniger werden die Betriebe in die nächste Ernte investieren. D.h. auch in 2023 wird zumindest die Ukraine weniger produzieren und exportieren, d.h. der Hunger in der Welt wird größer.

Dietrich Treis ist Betriebsleiter eines Ackerbaubetriebes 70 km östlich von Kiew. FOTO: Treis

Die Rodung der Rüben wird mit westlicher Technik durchgeführt. FOTO: Wenzl

Johann Wenzl: Am Betrieb Wenzl werden ca. 300 ha Zuckerrüben angebaut. Ich war auch zu meiner bayerischen Zeit schon immer leidenschaftlicher Rübenanbauer und lasse daher vom Zuckerrübenanbau nicht ab (lacht), dieser passt gut in unsere Fruchtfolge und auch vom Gewinnbeitrag her bin ich zufrieden. Zur Produktionstechnik: Wir säen die Rüben konventionell auf 45 cm Reihenabstand, es sind ähnliche Sorten wie bei uns. Die Düngung wird auch ähnlich wie bei uns durchgeführt. Unkrautbekämpfung: 3 x NAK, einige Bodenproben werden gemacht zur Orientierung. Conviso Rüben haben derzeit noch nicht im Einsatz. Cercospora muss in der Regel 2 x behandelt werden.

Die Rodung wird von einem Lohnunternehmer durchgeführt (Holmer, wenn Schläge zu lang, dann ROPA). Der Beginn ist meistens so Mitte September. Die Abfuhr wird von der Zuckerfabrik komplett organisiert (gehört dem früheren Präsidenten Poroschenko). Die Verladung erfolgt ganz normal mit der Maus; meist schickt die Fabrik rund 40 Lkws, die dann die Rüben abholen. Hier gibt es keine Probleme, Zudecken brauchen wir nicht. Die letzten Rüben sind bis Mitte November abgeholt. Die Zuckerfabrik befindet sich ca. 90 km entfernt.

Die Erträge bewegen sich in einer Größenordnung von 80-90 t/ha, je nach Witterung, v.a. Regen. Bemerkenswert sind die hohen Zuckergehalte, in den letzten Jahren lagen wir nie unter 19 % Polarisation, eher darüber. Zur Vermarktung: Hier haben wir ein variables, individuelles System, mit dem wir sehr zufrieden sind. Wir bekommen pro Tonne Rüben eine gewisse Menge an Zucker; das sind so um die 75 kg Zucker pro Tonne Rübe; da ist alles abgezogen (Transport, Verarbeitung usw.). Dann können wir entscheiden was mit dem Zucker passiert. Einige Lkws nehmen wir direkt zu uns aufs Lager (alles 50 kg Säcke). Da brauchen wir einen Teil um unsere Pacht, teils in Naturalien, zu bezahlen. Durch unsere guten Kontakte vermarkten wir den Zucker überwiegend selbst und liefern diesen an einen Käufer. Die Entscheidung was mit dem Zucker passiert, braucht erst im Frühjahr getroffen werden. Wir können den Zucker bis März in der Fabrik liegen lassen. Im Frühjahr oder auf Anfrage gibt die Zuckerfabrik ein Angebot ab zu welchem Preis sie „unseren“ Zucker kaufen würde. Wir können dieses Angebot annehmen oder den Zucker liegen lassen oder wir fahren diesen auf unseren Betrieb oder zum „eigenen“ Käufer. Eine Vertragsverlängerung haben wir jetzt für weitere 3 Jahre abgeschlossen.

Johann Wenzl bewirtschaftet einen Ackerbaubetrieb mit rund 5.000 ha ca. 200 km südlich von Kiew mit Winterweizen als Hauptfrucht, Raps, Mais, Sonnenblumen, Zuckerrüben (300 ha). Er ist seit 2003 in der Ukraine tätig, der Betrieb wurde sukzessive erweitert.

Dietrich Treis ist Betriebsleiter eines Ackerbaubetriebes mit: 4.700 ha, mit Mais, Sonnenblumen, Weizen, Raps, Roggen. Der Betrieb befindet sich 70 km östlich von Kiew. Eigener Elevator, Lagerkapazität 23.000 t in Hochsilos und Flachlagern sind vorhanden.

Der Betrieb wurde 2017 von einem deutschen Investor übernommen und gehörte vorher einer Bank.