Markt, Politk und Ökonomie

Der Rübenhof ist die Schnittstelle zwischen Landwirtschaft und Industrie. Beide Partner sind massiv von den Auswirkungen der Covid-Pandemie und des Ukraine-Krieges betroffen. FOTO: dzz

Zur Situation des Zuckersektors in Europa

Von Krise zu Krise

Folgen der Covid-19-Pandemie und des Ukraine-Krieges

Elisabeth Lacoste, Geschäftsführerin der CIBE, Brüssel

Von Elisabeth Lacoste Die Schockwellen der Covid-19-Pandemie auf den Welt- und europäischen Märkten haben sich auf die gesamte Zuckerlieferkette ausgewirkt, aber vor allem zu einem brutalen Preisverfall geführt. In wenigen Monaten nach der Ausbreitung des Virus stürzten die Weltmarktpreise im April 2020 auf ein 13-Jahrestief und fielen von rund 15 cts/lb auf dem New Yorker Markt auf unter 10 cts/lb. New Yorker Rohzucker und Londoner Weißzucker am Frontterm schlossen am 3. April 2020 bei 10,3 cts/lb bzw. 336,5 $/t – ein Einbruch um 26 % bzw. 20 % in einem Monat.

Covid-19-Pandemie mindert globale Zuckernachfrage

Einer der Hauptgründe war die Änderung der Fundamentaldaten: Anfang 2020 prognostizierte die Internationale Zuckerorganisation (ISO) ein globales Defizit mit einem Rückgang der globalen Produktion und einem langsamen Wachstum des Verbrauchs. Mit der plötzlichen Veränderung der Weltwirtschaft, dem Stopp des Personenverkehrs, der Sperrung wichtiger Regionen und Länder war die Hauptauswirkung der Rückgang der Binnennachfrage. Dies geschah während der Konsum weltweit unter dem Druck von Anti-Zucker-Kampagnen und einer Verlangsamung des globalen Bevölkerungswachstums stand. Infolgedessen ging der weltweite Verbrauch 2019/20 das dritte Jahr in Folge zurück. Ohne Covid hatte die ISO eine Erholung des globalen Verbrauchs um mehr als 2 Mio. erwogen. Mit Covid wurde ein Nettorückgang von 1 Mio. verzeichnet. Die globale Zuckerbilanz 2019/20 entwickelte sich von einem erwarteten Defizit zu einem Überschuss.

Volkswirtschaften in Schwellenländern wie Brasilien sind besonders von der Pandemie betroffen, was einige Auswirkungen verstärkt. Tatsächlich war die anhaltende Schwäche des brasilianischen Real gegenüber dem Dollar auch ein wichtiger rückläufiger Faktor für die Zuckerpreise. Die brasilianische Währung fiel am 3. April 2020 gegenüber dem Dollar stark und verzeichnete ein Rekordtief von 5,3225 Real/USD. Dies entsprach einer Abwertung der brasilianischen Währung von mehr als 35 % innerhalb eines Jahres. In den folgenden Monaten wertete die brasilianische Währung weiter ab und erreichte ein neues Rekordtief von fast 6 Real/USD. Dies hatte enorme Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit, da es für Brasilien auf dem Exportmarkt einen erheblichen Vorteil gegenüber anderen Ländern, insbesondere der EU, darstellte; ein schwächerer Real, der die Exportverkäufe der brasilianischen Zuckerproduzenten anregt. Dies veranlasste Brasilien, seine Zuckerproduktion 2020/21 relativ zu Ethanol und damit seine Exporte zu steigern (massiver Anstieg der brasilianischen Zuckerexporte zwischen April und September 2020: +85 % im Jahresvergleich).

Erholung auf dem EU-Zuckermarkt

Darüber hinaus spornte die Covid-19-Pandemie Kaufspekulationen an: Mehrere wichtige Importeure (China, Indonesien sowie die Länder des Nahen Ostens und Nordafrikas) wurden ermutigt, vorsorglich, spekulativ und strategisch mehr Zucker zu kaufen, um Unterbrechungen in ihren Lieferketten zu vermeiden. Dies führte zu einem massiven Transfer von Zucker von Ursprungsorten (Brasilien, Indien) zu Bestimmungsorten (Asien und Naher Osten). Außerdem hatte die Pandemie enorme Auswirkungen auf Fracht und Logistik, da Personal und Besatzung infiziert waren und Schiffe und Häfen Schwierigkeiten hatten, ihre Aktivitäten aufrechtzuerhalten.

Auf dem europäischen Markt zeigte die EU-Marktbilanz vor der Pandemie einen rückläufigen Trend bei den Endbestände. Der EU-Markt erholte sich nach zwei Jahren schwerer Krise nach dem Ende der Quoten. Unter den EU-Betreibern bestand die Hoffnung, dass sich ihre Situation in der Saison 2020/21 verbessern würde. Aber innerhalb weniger Wochen änderten sich die Fundamentaldaten des EU-Marktes von bullish zu bearish, aufgrund einer Kombination des reduziertem Zuckerverbrauches der europäischen Länder im Lockdown mit einem potenziellen Anstieg der EU-Zuckerimporte, was zu höheren Endbeständen führte.

Obwohl sich einige EU-Verbraucher aufgrund von Lockdown-Maßnahmen in Richtung einer verstärkten Verwendung von Zucker für den direkten Verbrauch in der EU bewegten, wurde eine negative Auswirkung mit einem Rückgang der gesamten EU-Zuckernachfrage erwartet. Nach einem siebenmonatigen Anstieg aufgrund besserer EU-Märkte und globaler Fundamentaldaten begannen die Spotmarktpreise in der EU in der ersten Aprilwoche 2020 zu sinken.

Damals bestand unter Analysten Einigkeit darüber, dass sich die EU-Zuckerpreise nun näher an die Zuckerbezugsschwelle von 404 €/t bewegen würden als auf die vor Beginn der Aussaat erwarteten 500 €/t. Zwischen April 2020 und Dezember 2020 blieben die Preise in der EU unter Druck. Erst im Januar 2021 begannen sie zu steigen. Zusammenfassend lässt sich sagen, unter sonst gleichen Bedingungen, dass die Covid-19-Pandemie die Rückkehr zu höheren Zuckerpreisen nach Jahren schwacher Märkte erheblich verzögert hat.

Bioethanol zur Herrstellung von Desinfektionsmitteln

Auf der Verbraucherseite in der EU war die Bewegung ebenfalls brutal. Von einem Tag auf den anderen wurden viele Europäer zu Hause eingesperrt und der Lebensmittelkonsum, einschließlich des Zuckerkonsums, führte zu einem Anstieg des Direktverkaufs von Lebensmitteln im Einzelhandel. Die europäischen Zuckerhersteller bewiesen große Flexibilität bei der Anpassung ihrer Lieferketten und Logistik an diesen herausfordernden Wandel.

Darüber hinaus war auch der Rückgang des Benzinverbrauchs und damit des Verbrauchs von Biokraftstoffen, einschließlich Bioethanol, eine Herausforderung. Auch hier zeigten Bioethanolproduzenten, einschließlich Ethanolproduzenten auf Zuckerrübenbasis, große Flexibilität bei der Anpassung ihrer Produktionsketten, um die Produktion von Ethanol durch die Produktion von alkoholischen Händedesinfektionsmitteln zu ersetzen, einem durch die Umstände in ganz Europa heiß begehrtem Produkt. Sie trugen maßgeblich dazu bei, diesen Bedarf zu decken.

Verbrauchsrückgang vorübergehend?

Laut der von der EU-Kommission gemeldeten EU-Zuckerbilanz, ging der Zuckerverbrauch für Lebensmittel der EU-28 2019/20 im Vergleich zu 2018/19 um 0,5 Mio. t zurück und sank 2020/21 (EU-28) im Vergleich zu 2019/20 (EU27 nach Austritt des Vereinigten Königreichs) um weitere 2,56 Mio. t.

Unter Berücksichtigung des Verbrauchs von 2 Mio. t im Vereinigten Königreich wurde eine weitere Verringerung um 0,5 Mio. t in der EU27 gemeldet. Insgesamt sind in der EU27 innerhalb von zwei Wirtschaftsjahren 1 Mio. t Zucker für den Lebensmittelverbrauch verloren gegangen. Es bleibt abzuwarten, ob die von der EU-Kommission für 2021/22 prognostizierte Verbrauchserholung von 0,5 Mio. t tatsächlich eintreten wird. Eigentlich sollte dieser erwartete Anstieg hauptsächlich auf dem Anstieg der Bevölkerung und damit des Konsums aufgrund der ukrainischen Flüchtlingswellen beruhen.

DAS WICHTIGSTE IN KÜRZE

Die Covid-19-Pandemie hat sich auf den EU-Zuckersektor negativ ausgewirkt und die notwendige Erholung von den äußerst schwierigen Jahren nach dem Ende der Quoten verzögert.

Europa ist weiterhin von externen Schocks betroffen: Der Krieg in der Ukraine und seine Folgen eröffnen nun ein weiteres Kapitel voller Unsicherheiten und Schwierigkeiten.

Diesmal sind nicht nur die Marktgrundlagen und Preise betroffen, sondern auch die Produktionskosten und die Verfügbarkeit von Produktionsmitteln.

Die an für sich gute Nachricht von steigenden Preisen wird durch den Anstieg der Düngemittel- und Energiepreise in Europa und drohende Engpässe getrübt.