Markt, Politk und Ökonomie

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Corona – Ukraine – Energie

Zuckerwelt­markt in Turbulenzen

Rohstofferzeugung, Warenströme und Versorgungssicherheit des Grundnahrungsmittels Zucker

Friedrich-W. Becker, Südzucker AG, Division Zucker/Verkauf

Von Friedrich-W. Becker Wie selbstverständlich ist das Grundnahrungsmittel Zucker für den Konsumenten immer und überall verfügbar, sei es in der Küche, im Supermarkt oder im Restaurant. Täglich und kontinuierlich fragen 8 Milliarden Menschen (davon nahezu 60 % in Asien) das Produkt Zucker direkt oder indirekt, in verarbeiteter Form, nach. Vor allem durch das Wachstum der Weltbevölkerung erhöht sich auch die Nachfrage nach Zucker jährlich um rd. 1,0 % bzw. 1,8 Mio. t.

Wie wird sichergestellt, dass Zucker immer und überall zur Verfügung steht?

Auf unserer Erde gedeihen zwei Pflanzen, aus denen das Grundnahrungsmittel Zucker gewonnen werden kann: Zuckerrohr, das in tropischen Klimazonen wächst, und die Zuckerrübe, die sich in den gemäßigten Klimaregionen unseres Planeten zu Hause fühlt. Diese klimatische und geographische Konstellation der zwei Pflanzen ist einzigartig für ein Grundnahrungsmittel und sie eröffnet vielfältige Möglichkeiten für Anbaustandorte, Verarbeitung zu Zucker oder alternative Verwendungsmöglichkeiten und die Logistik.

Ein komplexes globales Netzwerk Zucker ist also gleichzeitig ein regionales und ein globales Produkt. Die Versorgungssicherheit bzw. die Selbstverständlichkeit, dass das Grundnahrungsmittel Zucker an jedem Ort der Welt zu jeder Zeit vorhanden ist, wird durch ein weltumspannendes komplexes Netzwerk von Roh- und Weißzucker-Warenströmen zwischen den Marktteilnehmern (Anbauer, Produzenten/Raffinerien, Händler und Konsumenten) gewährleistet.

Die Macht der Geographie

Dieses globale Netzwerk gleicht dynamisch Angebot und Nachfrage in den unterschiedlichen Geographien durch Anpassungen der Anbauflächen sowie Im- und Exporte aus. Damit es aber dazu kommt, müssen sich lokale Preisniveaus etablieren, die die Märkte in das vermeintliche Gleichgewicht bringen.

Die Wetterextreme, die insbesondere in den letzten Jahren zu beobachten sind, üben einen starken Einfluss auf Ernte und Produktion aus. So entstehen häufiger ungeplante Produktionsdefizite und auch die Logistik wird komplexer. Die alternative Verwendung von Rübe und Rohr für die Ethanolproduktion, aber auch unterschiedliche Erntezeiträume in den Klimazonen und der Nord- und Südhemisphäre, rufen Angebotsschwankungen hervor. Somit spielt neben der geographischen, auch die zeitliche Komponente eine wichtige Rolle in der Versorgung der Märkte. Lager können dabei Angebots- und Nachfrageschwankungen ausgleichen, indem sie Erntezeiträume sowie die Zeit zwischen Verarbeitung und Konsum überbrücken.

Zucker wird lose oder verpackt mit LKW, Bahn und Binnenschiff, aber auch Seeschiffen innerhalb von Kontinenten transportiert. Über Kontinente hinweg werden Angebot und Nachfrage lose oder containerisiert mit Seeschiffen ausgeglichen. Die Logistik ermöglicht somit die Herbeiführung eines physischen Gleichgewichts.

Die größten globalen Zuckerhandelsströme 2021/2022 (in Mio. t)

Achillesferse Logistik

Die oben genannten unterschiedlichen Komponenten bilden das komplexe Räderwerk der Warenströme, das letztendlich die Versorgungssicherheit garantiert. Wer erinnert sich noch an die Havarie des Containerschiffs „Ever Given“ im Jahr 2021? Damals haben wir erstmals sehr deutlich gemerkt, wie ein einziges Schiff eine Hauptschlagader des Welthandels, den Suez-Kanal, lahmlegen kann und wie abhängig wir von globalen Warenströmen sind.

Als Schmierstoff für das Räderwerk dient die Preisbildung in den unterschiedlichen Märkten. Die Produktionskosten von Zuckerrübe und Zuckerrohr sowie die Herstellungskosten des Zuckers sind wichtige Indikatoren für eine lokale Preisbildung, können aber in einem deutlich überversorgten Markt in den Hintergrund rücken. In einem deutlich unterversorgten Markt hingegen wird das Preisniveau von den Importmöglichkeiten bestimmt.

Als Preisindikatoren für Überschüsse, die über Seehäfen vermarktet werden und als Werkzeug zur Absicherung von Preisrisiken, dienen die Terminmarktnotierungen für Zucker in London und New York. Über Auf- und Abschläge auf diese Notierungen werden wiederum geographische Versorgungslagen abgebildet.

Kosten für Transport und Energie außer Kontrolle

Die Dynamik der Frachtmärkte für LKW, Bahn und Seetransporte hat einen großen Einfluss auf die Vermarktung von Zucker. Sei es der Transport von 25 t Zucker über wenige Kilometer von der Zucker- zur Schokoladenfabrik oder der Schiffstransport von 50.000 t Rohzucker von Südamerika nach Asien. Das Jahr 2022 hat neue Höchststände für Frachtkosten aufgezeigt. Aufgrund von Corona haben sich die Seefrachten für größere Schiffe teilweise mehr als verdreifacht, die Frachtkosten für Container haben sich für bestimmte Seewege sogar verzehnfacht. Bahntransporte fallen aus, weil Baustellen die Schienenkapazität verringern. Es herrscht ein Mangel an LKW-FahrerInnen.

Energiekostenentwicklungen und der Einsatz von verschiedenen Energieträgern mit unterschiedlichem Versorgungssicherheitspotenzial wie Kohle, Erdöl, Erdgas oder auch biogene Brennstoffe haben ebenfalls einen wechselseitigen Einfluss auf die lokale Produktion und somit auch indirekt auf die Warenströme von Zucker und die globale und lokale Preisbildung. Das wird insbesondere für Deutschland und Europa in diesem Jahr sehr deutlich. Energiekosten wirken mehrdimensional auf das Produkt Zucker ein. Sowohl die Pflanzenproduktion (Dünger, Betriebsmittel) und die Zuckerproduktion/Raffination (Betriebsmittel) selbst, als auch die lokale und globale Logistik vom Feld bis zum Konsumenten sind betroffen. Auch Wechselkursschwankungen, Finanzierungskosten, Zölle, Import- und Exportbeschränkungen üben einen erheblichen Einfluss auf Warenströme und letztendlich die Preisbildung aus. So hatte beispielsweise Algerien aufgrund des Kriegs in der Ukraine im März den Export von Nahrungsmittel gestoppt, um sicherzustellen, dass zunächst die eigene Bevölkerung versorgt wird. Dass Algerien Rohzucker importiert, zu Weißzucker raffiniert und über das Mittelmeer teilweise auch in die EU liefert, hat zu Versorgungslücken in Spanien und Italien geführt.

Volatilitäten der Agrarmärkte stark gestiegen

Die Ethanolproduktion, insbesondere aus Zuckerrohr als Ersatz von Benzin, ermöglicht den Anbauern und Produzenten eine Optimierung der Erlöse. Im Extremfall kann dadurch die Zuckerproduktion in Brasilien um bis zu 10 Mio. t pro Jahr schwanken. Ähnliche Programme werden derzeit in Indien umgesetzt, sodass letztendlich Preisbildung und Warenströme auch unter dem Einfluss der Ölpreisentwicklung stehen.

Das Jahr 2022 hat uns mit extremen Schwankungsbreiten bei Energiekosten und auf den Agrarmärkten konfrontiert. Die Angebotsseite auf den Agrarmärkten wird durch den Krieg in der Ukraine und eine Dürre in Europa beeinflusst. Auf der Nachfrageseite und in der Logistik sind wir global überwiegend mit Corona-bedingten Unsicherheiten konfrontiert.

Die globalen Logistikketten müssen in Zukunft nicht nur für das Grundnahrungsmittel Zucker widerstandsfähiger gestaltet werden. Klimaveränderungen werden uns mehr denn je beschäftigen und wir müssen weiterhin von massiven Ernteschwankungen ausgehen. Somit müssen größere Reserven in die Lieferketten und die Lagerung eingebaut werden. Das alles wird höhere Kosten verursachen, aber es wird der einzige Weg sein, die Versorgungssicherheit nicht nur für Grundnahrungsmittel und insbesondere für Zucker zu gewährleisten.

DAS WICHTIGSTE IN KÜRZE

Indien (35,5 Mio. t Zuckerproduktion/Jahr) und Brasilien (32,3) sind die mit Abstand größten Zuckerproduzenten der Welt. Danach folgen die EU (15,9), Thailand (10,1), China (9,4), USA (7,7), Pakistan (7,5), Mexiko (6,2), Russland (5,7) und Australien (3,9). Insgesamt vereinen die größten zehn Produzenten somit 134 Mio. t bzw. 77 % der Gesamtjahresproduktion von 174 Mio. t auf sich.

Die weltgrößten Konsumenten sind Indien (27,1 Mio. t Zuckerverbrauch/Jahr), EU (16,1), China (15,7), USA (10,4), Brasilien (10,2), Indonesien (7,5), Russland (5,9), Pakistan (5,9), Mexiko (4,4) und Ägypten (3,3). Sie vereinen 106,4 Mio. t bzw. 61 % des Jahresgesamtverbrauchs auf sich.

Insgesamt werden global 60-70 Mio. t Zucker exportiert bzw. importiert, um Überschüsse und Defizite auszugleichen. Die größten Exporteure der Welt sind Brasilien (23,2 Mio. t; 38 %), Indien (8,8; 14 %; trotz hohem Inlandsverbrauch auf Platz 2), Thailand (7,5; 12 %), Australien (3,3; 5 %) und Guatemala (2,0; 3 %). Die größten Importeure sind China (5,4; 9 %), Indonesien (5,2; 8,8 %), USA (2,9; 4,9 %), Algerien (2,5; 4,2 %), Bangladesch (2,5; 4,1 %; das Land hat grundsätzlich einen geringen Bedarf, doch der Transit nach China wird statistisch nicht als Export erfasst).