Anbau

Kein seltener Anblick eines Rübenfeldes in diesem Jahr – und das nicht nur in Deutschland, sondern auch EU-weit. FOTO: Graber

Gasversorgung ungewiss

Pünktlich zur Kampagne kam der Regen

Sommertrockenheit treibt Preise – Marktversorgung sichern

Von Martin Graber Nach einem der trockensten und heißesten Sommer seit Beginn der Wetteraufzeichnungen hat die Rübenverarbeitung 2022 in der ersten Zuckerfabriken in Süddeutschland am 5. September begonnen.

Sommer der Extreme

Eine Serie von Hitzewellen rollte 2022 quer über Europa hinweg und führte im Zusammenhang mit ungewöhnlich trockenen Bedingungen zu einem Sommer der Extreme mit Dürre und Waldbränden. Nicht nur Tagesrekorde bei den Temperaturen wurden erzielt, auch die Monatsmittelwerte im Sommer waren so hoch wie noch nie. Im Besonderen traf es die iberische Halbinsel, dort herrschte bereits im Juni und Juli extreme Hitze. Aber auch in Deutschland stand das Thermometer auf Anschlag. Der August war hier 3,7 °C wärmer als im Mittel der Jahre 1961-1990 und 2,3 °C wärmer als im Mittel der letzten 20 Jahre. Auch der Osten Europas hatte unter den extremen Temperaturen zu leiden.

Zu den heißen Temperaturen kam hinzu, dass bereits ab Mai deutlich weniger Niederschläge fielen als im vieljährigen Durchschnitt. In Deutschland fehlten von Mai bis August über alle Regionen 116 l/qm Regen, im Westen und in der Mitte des Landes war das Niederschlagsdefizit sogar noch stärker ausgeprägt.

Erste Ernteberichte

Konkrete Vorhersagen der Zuckererzeugung in der EU sind zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht möglich, da die Kampagnen in den EU-Ländern zu sehr unterschiedlichen Terminen beginnen. Während in Italien die Rübenverarbeitung Ende September bereits beendet wurde, haben Finnland und Österreich erst zu Beginn des Oktobers die Werkstore geöffnet. Aus Italien ist bereits zu vernehmen, dass die Zuckererzeugung geringfügig unter der des Vorjahres liegt. Ferner ist festzuhalten, dass dort, wo eine Bewässerung der Rübenbestände möglich war, die Erträge im Rahmen der Erwartungen liegen.

Zuckererzeugung in der EU 2022/23 Quelle: CIBE-Schätzung, Sept. 2022

Ertragserwartungen reduziert

Die regelmäßig veröffentlichten Erzeugungsschätzungen (MARS) der Gemeinsamen Forschungsstelle der EU-Kommission (JRC) wurden witterungsbedingt Monat für Monat nach unten korrigiert. Gegenüber dem Schätzwert vom April sind die Ertragserwartungen für Zuckerrüben im September um 6 % für die gesamte EU, um knapp 9 % für Deutschland und um mehr als 11 % für Frankreich zurückgenommen worden. Die Anfang September einsetzenden Niederschläge kamen größtenteils zu spät, um die Zuckererzeugung in Europa noch nachhaltig zu steigern. Aus einer Umfrage bei den Mitgliedern der europäischen Rübenanbauer-Vereinigung CIBE im September geht hervor, dass im Durchschnitt über alle Länder der Gemeinschaft mit einem durchschnittlichen Zuckerertrag in der EU von lediglich 11,2 t/ha zu rechnen ist. Daraus ergäbe sich eine Zuckererzeugung von knapp 15,8 Mio. t. Das wären rund 7,8 % weniger als im Vorjahr. Dazu tragen insbesondere die drei großen Zuckererzeuger-Länder Frankreich, Deutschland und Polen mit einem Rückgang der Produktion um zusammen ca. 1,0 Mio. t gegenüber dem Vorjahr bei. Das Vorjahr übertreffen nach dieser Statistik unter den wichtigen Erzeugungsländern lediglich Belgien und die Niederlande.

Produktionsrückgang lässt Preise steigen

Für die EU der 27 sagt die Europäische Kommission einen Zuckerverbrauch von ungefähr 14,8 Mio. t vorher. Daraus ergäbe sich ein Erzeugungsüberhang von ca. 1,1 Mio. t Zucker. Dieses Bild trügt jedoch. Seit dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Gemeinschaft werden Lieferungen vom Kontinent dorthin von Kristallzucker und vor allem von Zucker in verarbeiteten Produkten (Süßwaren, Konserven etc.) als Ausfuhren erfasst. Rechnet man die auf diese Weise verwendeten Zuckermengen zum EU-Binnenverbrauch hinzu, ergibt sich ein jährlicher Zuckerbedarf in der EU von ziemlich genau 15,8 Mio. t. Es steht also genau die Zuckermenge aus heimischer Erzeugung zur Verfügung, für die eine Nachfrage existiert. Üppige Überschüsse wie in der Vergangenheit, die unter hohen Aufwendungen exportiert werden mussten, dürfte es im Zuckerwirtschaftsjahr 2022/23 nicht geben.

Im EU-Preisreporting macht sich die enger werdende Versorgungslage langsam bemerkbar. Für den Monat August weist die Statistik einen durchschnittlichen Zuckerpreis von 484 €/t aus. Im Vergleich zum Vorjahresmonat ist das eine Differenz von plus 82 €/t.

Marktbeobachter berichten, dass gegenwärtig am Spotmarkt für kurzfristig verfügbare Ware bereits Preise deutlich jenseits von 800 €/t gezahlt werden müssen.

EU-Zuckerpreise Quelle: EU-Kommission

Gasverfügbarkeit ungewiss

Neben diesen Wetterkapriolen hat auch der Ukraine-Krieg erheblichen Einfluss auf die heurige Kampagne. In den zurückliegenden Jahren stellten viele Unternehmen die Werke aus Energie- und Umweltschutzgründen auf Erdgas um. Da die Versorgungssicherheit in Folge des Ukraine-Krieges nicht mehr gewährleistet werden kann und die Erdgas-Preise enorm nach oben geschnellt sind, wurden und werden während der Kampagne zahlreiche Zuckerfabriken wieder auf Kohle oder Erdöl umgerüstet. Dieser Schritt ist mit enormen Aufwand und erheblichen Kosten im mehrstelligen Millionenbereich verbunden.

Die Sicherstellung der Rübenverarbeitung in den Werken sowie Gewährleistung der Versorgung der Zuckerkunden veranlasste einige Zuckerunternehmen, den Kampagnestart zeitlich so weit wie möglich nach vorne zu ziehen.

So gab das französischen Unternehmens Cristal Union bekannt, dass im Zuge der Energiekrise und nach einem Sommer mit historischer Dürre die Werke eine Woche früher als gewöhnlich die Rübenverarbeitung aufnehmen werden, also um den 15. September, Ausnahme bildet das Werk Fontaine-le-Dun, das bereits am 7. September 2022 gestartet ist. Damit wird versucht, an fast allen Standorten bis Ende Dezember die Kampagne zu beenden, um den Energiebedarf im ersten Quartal 2023, einem sensiblen Zeitraum im Falle von Lieferengpässen, zu begrenzen und Verarbeitungsschwierigkeiten zu vermieden. Zusätzlich wird der Gasverbrauch eingeschränkt, indem nur noch vorrangige Arbeiten getätigt und andere auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden.

Auch Tereos, das andere französische Unternehmen, teilte Anfang September hinsichtlich des diesjährigen Kampagnebeginns mit, ihre neun Werke in Frankreich bis zu acht Tage früher als üblich, also zwischen dem 8. und 21. September 2022, starten zu lassen, um so den Risiken der Gasversorgung entgegenzuwirken. Denn auch bei fast allen Tereos-Fabriken ist Gas die primäre Energiequelle, denn auch hier wurde mit dem Umbau auf Erdgas in den vergangenen Jahren das Ziel der Reduzierung von CO₂-Emmissionen verfolgt.

Nordic Sugar hat sogar eine besondere Maßnahme ergriffen. Rund 300.000 t Rüben werden von Schweden per Schiff zur Verarbeitung in die auf der dänischen Insel Lolland gelegene Zuckerfabrik Nakskov transportiert, weil die schwedische Energieagentur die Großverbraucher über das erhöhte Risiko von Gasversorgungsbeschränkungen informiert hatte.

Das niederländische Unternehmen Cosun hat angekündigt, den Schiffstransport von Rüben in diesem Jahr um 20 % gegenüber dem Vorjahr auszudehnen. So sollen etwa 300.000 t Rüben auf den Wasserweg von SüdLimburg in die Fabrik im niederländischen Dinteloord gebracht werden. Dies soll einerseits den Straßenverkehr enorm entlasten und zum anderen den CO₂-Ausstoß deutlich senken.

Zuckerrübentransport mal ganz anders. In dieser Kampagne sollen rund 300.000 t Rüben per Schiff aus der Region Süd-Limburg zur Verarbeitung in die Zuckerfabrik in Dinteloord transportiert werden. FOTO: van Hassel

Früher Kampagnebeginn

Die Anbauregionen in Süddeutschland waren in diesem Jahr von sehr unterschiedlichen Witterungsbedingungen geprägt. Während der Süden und Norden von den Niederschlägen größtenteils begünstigt war, litten die Regionen um die Werke Offstein, Offenau, Ochsenfurt und Zeitz sehr stark unter der Trockenheit und der sommerlichen Hitze. Die Verbände und Südzucker einigten sich, den Kampagnebeginn zeitlich etwas früher anzusetzen, um die Rübenverarbeitung wegen des Risikos der Gasversorgung zu sichern und zudem die Zuckerkunden mit Sicherheit beliefern zu können. Mit der Rübenanlieferung am 5. September 2022 in Wabern startete die Kampagne 2022. In den sich anschließenden Tagen folgten Rain mit der Bio-Rübenkampagne sowie Plattling und Zeitz. Ende September gingen dann die drei letzten Werke in Süddeutschland ans Netz.

Was bisher geschah

Die Witterungsbedingungen waren zu Beginn der Kampagne nicht sehr günstig. Fehlende Niederschläge und Hitze stellten die Akteure bei Rodung und Verladung vor immense Herausforderungen. Ferner war es von enormer Wichtigkeit, die Rübenverladung zeitnah nach der Rodung anzuberaumen, um Verluste in der Rübenmiete zu vermeiden bzw. zu minimieren.

Nach der momentanen Prognose von Südzucker kann davon ausgegangen werden, dass der Rübenertrag in diesem Jahr bei rund 70 t/ha und damit sehr deutlich unter dem letztjährigen Wert von 86,9 t/ha bzw. dem 5-jährigen Mittel von 79,5 t/ha liegen wird. Auch beim Zuckergehalt wird im Schnitt der Südzucker AG mit einem eher niedrigeren Wert als im Vorjahr (17,5 %) gerechnet.

Aus den einzelnen Regionen Süddeutschlands ist zu vernehmen, dass die Rübenerträge je nach Region und Bodengüte sehr stark streuen. Dieser Effekt wird dadurch verstärkt, dass in den zurückliegenden Wochen regional unterschiedliche Niederschlagsmengen gefallen sind. Zudem ist die weitere Witterungsentwicklung von Bedeutung. Ein „sonniger“ Oktober könnte den Zuckergehalt noch merklich anheben. Daher sind die aktuellen Angaben mit einigen Unsicherheiten behaftet.

Bis zum 3. Oktober 2022 waren rund 1,30 Mio. t Rüben über die Fabrikhöfe gelaufen. Gerade zu Kampagnebeginn spiegelten sich die trockenen Witterungsbedingen in einem niedrigen Gesamtabzug wider. So lag der durchschnittliche Besatz aller bis zum 21. September gelieferten Rüben bei nur 4,3 %. Die dann folgenden Niederschläge ließen die Tageswerte auf Fabrikebene auf bis zu 8,5 % ansteigen (3. Okt. 2022)

Kampagnedauer

Unter der Annahme, Rodung, Verladung, Transport und Verarbeitung laufen weiterhin ohne Störungen, könnten die ersten Werke bereits Mitte Dezember die Rübenverarbeitung einstellen. Weitere Fabriken sollen Anfang bzw. Mitte Januar 2023 folgen. Damit wird die durchschnittliche Verarbeitungsdauer in den Fabriken in diesem Jahr aller Voraussicht nach nur 102 Tage betragen, wobei die Bandbreite zwischen 77 und 129 Tagen liegen wird. Im Vergleich dazu: im Vorjahr betrug die durchschnittliche Kampagnedauer aller Südzucker-Werke in Süddeutschland 133 Tage, wobei die Spannweite zwischen 106 und 177 Tagen lag.

DAS WICHTIGSTE IN KÜRZE

Die Rübenbestände litten unter Trockenheit und sommerlicher Hitze erheblich, so dass die diesjährige Zuckererzeugung sowohl in Europa als auch in Deutschland geringer als üblich ausfallen wird. Neben der Unsicherheit der Gasversorgung sind die Energiekosten auf ein unvorhergesehenes Niveau gestiegen, was Rübenverarbeitung und Zuckerherstellung deutlich verteuert. Dies wird sich auf den Zuckermarkt niederschlagen und zu einem bemerkbaren Anstieg des Zuckerpreises führen.