Anbau

Pilzkrankheiten lassen sich 2022 auch mit Hilfe von Notfallzulassungen in Schach halten. FOTO: Pfeuffer

Reguläre Zulassungen stocken

Notfallzulassung – das neue Normal?

Große nationale Unterschiede bei der Zulassung von Pflanzenschutzmitteln

Von Alexander Krick, stellvertretender Generalsekretär der CIBE und Dr. Paul Martin Pfeuffer, Verband Süddeutscher Zuckerrübenanbauer e.V. Eigentlich sollte durch das Zulassungsverfahren die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln europaweit harmonisiert und vereinfacht werden. Zudem sollte nur nach rein wissenschaftlichen Kriterien entschieden werden. Die Praxis sieht jedoch anders aus. Es gibt große Unterschiede zwischen den EU-Ländern, die teilweise zu Nachteilen für die deutschen Anbauer führen.

Erster Schritt: Zulassung der Wirkstoffe auf EU-Ebene

Die Wirkstoffe von Pflanzenschutzmitteln werden in der EU in einem Gemeinschaftsverfahren bewertet. Nach gemeinsamen Beratungen, an denen die EU-Pflanzenschutzbehörden und die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) beteiligt sind, entscheidet die Europäische Kommission darüber, ob ein Wirkstoff zur Verwendung in Pflanzenschutzmitteln genehmigt wird. Bei der Frage der Zulassung wird anstelle eines risikobasierten ein gefahrenbasierter Ansatz angewendet.

Das bedeutet, dass bei der Bewertung eines Wirkstoffs nicht mehr das Risiko, sondern eine eventuelle Gefahr ausschlaggebend ist. Während ein „Risiko“ erst dann besteht, wenn beispielsweise der Mensch mit einem gefährlichen Stoff in Kontakt kommt – dabei spielt die Art des Kontaktes ebenso wie die Menge des Stoffes eine Rolle – ist bei dem gefahrenbasierten Ansatz, bereits die Gefährlichkeit oder Schädlichkeit eines Wirkstoffs von Bedeutung. Wenn Wirkstoffe nach Ablauf der bestehenden Zulassungen auslaufen, sind viele wegen der „Cut-off“-Kriterien nicht mehr genehmigungsfähig, auch wenn es keine Probleme bei der jahrelangen Anwendung gab.

Zweiter Schritt: Nationale Zulassung – hoch politisch

Pflanzenschutzmittel, so wie sie auf den Markt gebracht werden, benötigen eine nationale Zulassung. Zulassungsstelle in Deutschland ist das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL). Die Bewertung der Zulassungsanträge erfolgt in einem sogenannten zonalen Verfahren. Die Staaten der EU werden dabei drei Zonen zugeordnet: Norden, Mitte, Süden. Deutschland gehört zur mittleren (zentralen) Zone. Antragsteller können eine Zulassung gleichzeitig parallel für mehrere Staaten einer Zone beantragen, zum Beispiel in Österreich, Deutschland und Polen. Mit der Zulassung auf nationaler Ebene legt das BVL aber das Anwendungsgebiet des Pflanzenschutzmittels fest. Dabei kann es Auflagen, Kennzeichnungen und Anwendungsbestimmungen erteilen. Das 2011 neu eingeführte zonale Verfahren sollte die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln europaweit beschleunigen. Die Landwirte sollten so schneller und unter einheitlichen Bedingungen Zugang zu Pflanzenschutzmitteln erhalten. CONVISO® ONE, das Herbizid für die ALS-Inhibitoren toleranten Rüben, ist das bekannteste Beispiel im Zuckerrübenanbau dafür, dass keineswegs einheitliche Bedingungen herrschen. Während es in Polen und Österreich voll einsetzbar ist, wurden in Deutschland durch das BVL die Aufwandsmengen so starkeingeschränkt, dass eine flächige Anwendung in der Praxis momentan kaum möglich ist.

Notfallzulassungen – mehr Regel als Ausnahme

Wenn eine Gefahr für die Gesundheit und den Schutz von Kulturpflanzen nicht anders abzuwenden ist, können die nationalen Behörden, in Deutschland das BVL, das Inverkehrbringen eines Pflanzenschutzmittels für eine begrenzte und kontrollierte Verwendung für maximal 120 Tage zulassen, eine sogenannte „Notfallzulassung“ aussprechen. Spätestens seit dem Verbot der Beizung von Zuckerrübensaatgut mit Neonikotinoiden in 2018 ist das Interesse an diesen Notfallzulassungen im Zuckerrübenanbau enorm gestiegen. Laut EU Pesticides database wurden bis zu diesem Zeitpunkt – also 2016 und 2018 – von elf Mitgliedsstaaten insgesamt 32 Notfallzulassungen für Pflanzenschutzmittel im Zuckerrübenanbau gewährt. Seit dem Anbaujahr 2019 gewährten die 22 Mitgliedstaaten insgesamt über 200 Notfallzulassungen für PSM im Zuckerrübenanbau. Allerdings mit großen Unterschieden zwischen den einzelnen EU-Mitgliedstaaten.

Zehn Mitgliedstaaten haben für jedes Anbaujahr seit 2018 Notfallzulassungen für die Beizung von Zuckerrübensaatgut mit Neonikotinoiden gewährt. Teils sind sie mit strengen Auflagen verbunden, die dazu führten, das beispielweise in Belgien und Polen ein Drittel der Flächen mit neonikotinoid-gebeiztem Saatgut bestellt wurden.

Abhängigkeit von nationaler Politik

Vertraut man der Online-Datenbank der zugelassenen Pflanzenschutzmittel des BVL, so befinden sich im deutschen Pflanzenschutz-Werkzeugkästen potenziell 248 Mittel für den Zuckerrübenanbau, darunter 136 Herbizide, 42 Funigizide, 25 Insektizide und 29 Molluskizide. Der Schein einer großen Anzahl von Pflanzenschutzmittel trügt allerdings, da sich hinter diesen 232 PSM nur 18 Herbizid-, 9 Fungizid-, 5 Insektizid- und 2 Molluskizid-Wirkstoffe verbergen. Langfristig wird dies europaweit eine große Herausforderung für den Rübenanbau, an dem bereits intensiv geforscht wird, sei es in der Züchtung an Virus- und Cercospara-resistenten Sorten oder an mechanischen Verfahren zur Unkrautregulierung. Solange diese aber nicht marktreif sind, bleiben die Anbauer wegen des weiter zu erwartenden Rückgangs bei der Zulassung von Wirkstoffen in der EU abhängig von Notfallzulassungen und damit von der nationalen Politik.