Unternehmen

Ambitionierte Ziele

Vom Hof auf den Tisch

Mögliche Auswirkungen der Farm to Fork-Strategie als Teil des „green deal“ auf die Landwirtschaft

Dr. Michael Schäfer, Südzucker AG, Leiter strategische Marktanalyse/Vertriebssteuerung

Von Dr. Michael Schäfer und Markus Neundörfer

Die Gemeinsame Agrarpolitik der EU soll „grüner“ werden

Die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat ihren Klimaplan im Jahr 2019 in Brüssel mit wegweisenden Worten vorgestellt. Der „Green Deal“ sei mit der Vision der Mondlandung in den 1960er-Jahren vergleichbar: „Jemand hat mal gesagt: Das ist Europas Mann-auf-dem-Mond-Moment.“ Doch was bedeutet die „Mondlandung“ für die europäische Landwirtschaft? Der „European Green Deal“ wird von der EU-Kommission als Chance gesehen, unser Ernährungssystem mit den Bedürfnissen des Planeten in Einklang zu bringen und positiv auf die Bestrebungen der Europäer nach gesunden, gerechten und umweltfreundlichen Lebensmitteln zu reagieren.

Ziel dieser Strategie ist es, unsere Lebensgrundlagen Wasser, Böden und die Atemluft zu erhalten sowie das EU-Lebensmittelsystem zu einem globalen Standard für Nachhaltigkeit zu machen. Dabei ist der Zehnjahresplan „Farm to Fork“ (F2F), „vom Hof auf die Gabel/den Tisch“, das Herzstück des Green Deal. Zusammen mit der Strategie zur Biodiversität stellt F2F ein Maßnahmenpaket mit insgesamt 27 Maßnahmen auf. Dabei werden alle Bereiche der Wertschöpfungskette, also alle Stationen „vom Acker bis auf die Gabel“, auf ihre Nachhaltigkeit hin überprüft und angepasst.

Eine Reihe von Maßnahmen und Verpflichtungen von Farm to Fork und der Biodiversitätsstrategie sollen bereits bis zum Jahr 2030 umgesetzt werden. Ein zentrales Leitziel von Farm to Fork ist dabei die Ausweitung der Bio-Landwirtschaft in allen EU-Staaten auf 25 %. Pestizide und Antibiotika sollen bis 2030 um bis zu 50 % reduziert werden.

Zudem ist eine Reduzierung der Nährstoffverluste bei gleichbleibender Bodenfruchtbarkeit um mindestens 50 % vorgesehen, sodass der Einsatz von Düngemitteln um mindestens 20 % vermindert wird. Die Kommission wird diese Strategie bis Mitte 2023 überprüfen, um festzustellen, ob die getroffenen Maßnahmen ausreichen, um die Ziele zu erreichen, oder ob zusätzliche Maßnahmen erforderlich sind.

Wie will die EU die Ziele der Farm to Fork-Strategie erreichen?

Jeder Staat der EU ist verpflichtet, der Farm to Fork-Strategie zu folgen, indem er sie durch nationale Strategiepläne umsetzt. Die neue Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) beinhaltet beispielsweise Eco-Schemes-Programme und Maßnahmen zur Entwicklung des ländlichen Raums. Freiwillige Agrar- und Umweltmaßnahmen sollen künftig honoriert werden.

Die EU wird ihren Mitgliedstaaten Mittel zur Verfügung stellen, um Entscheidungen der Landwirte zu mehr Nachhaltigkeit zu belohnen oder zu kompensieren. Die Farm to Fork-Strategie enthält somit auch Unterstützungsmechanismen, die den Zuckerrübenerzeugern zugutekommen könnten. Diese Mittel können beispielsweise für Maßnahmen zur Unterstützung der neuen Carbon Farming-Initiative (Teil des F2F-Aktionsplans) verwendet werden, die zu mehr Nachhaltigkeit beitragen und gleichzeitig zusätzliche Einkommensquellen für die Landwirte schaffen soll. Farm to Fork schlägt aber auch die Reform bereits bestehender Richtlinien vor.

So soll unter anderem die Richtlinie über die nachhaltige Nutzung von Pestiziden auf den Prüfstand gelangen (z.B. sollen Methoden des integrierten Pflanzenschutzes gefördert werden).

Einordnung für die Zuckerwirtschaft und potenzielle Auswirkungen

Die WVZ hat klargestellt, dass die Zuckerwirtschaft bereits seit Jahren einen substanziellen Beitrag leistet, um den Weg vom Hof auf den Tisch nachhaltig zu gestalten. Zudem sei bei dem Ziel der Pflanzenschutzmittelreduktion die Festlegung einer pauschalen Mengenreduktion über alle Kulturen und Mitgliedstaaten mit jeweils unterschiedlichen Ausgangsniveaus schwierig. Resistentere Rübensorten werden bereits entwickelt und chemische Pflanzenschutzmittel durch neue Anbauverfahren reduziert. Auf Versuchsfeldern wird weiter untersucht, wie mit Blühstreifen die biologische Schädlingsbekämpfung ausgeweitet werden kann. Auch die Ausdehnung des Bioanbaus auf 25 % der landwirtschaftlichen Flächen sollte laut WVZ nicht pauschal erhoben werden, da manche Kulturen einfacher, andere schwieriger umzustellen sind. Die Zuckerwirtschaft setzt zwar ständig auf Innovationen (z. B. Hackroboter), um den Bioanbau attraktiver zu machen, diese brauchen aber noch Zeit und Investitionen.

Ebenso erscheint der WVZ eine pauschale Festlegung des Zieles von 50 % weniger Nährstoffverlust in den Böden sowie 20 % weniger Düngemittel problematisch, da hierbei bisherige Reduktionsleistungen außer Acht gelassen werden. Auch das CEFS plädiert daher für einen glaubwürdigen Ansatz in Bezug auf Zielvorgaben und Ausgangsbasiswerte, welche die bereits unternommenen Anstrengungen berücksichtigt. Denn die Stickstoffdüngung für Zuckerrüben konnte in den vergangenen fünf Jahren bereits um ca. 20 % reduziert werden. Zudem wurde der Ertrag über die vergangenen 40 Jahre fast verdoppelt.

Es wurden mehrere Studien zur Folgenabschätzung der F2F-Strategie veröffentlicht. Darunter Studien der EU- Kommission, des USDA, der Wageningen University & Research (WUR), sowie der Christian-Albrechts-Universität (CAU) in Bonn. Ein konsistenter direkter Vergleich der Ergebnisse ist aber nicht möglich, da unterschiedliche Modelle verwendet und kumulativ unterschiedliche Szenarien berechnet wurden. Die Studien kommen aber alle zu dem Ergebnis, dass die Umsetzung der F2F-Ziele zu einer Verringerung sowohl der landwirtschaftlichen Produktion in der EU als auch ihrer Wettbewerbsfähigkeit auf den Exportmärkten führen wird.Darüber hinaus könnte die Verknappung des Lebensmittelangebots in der EU zu Preissteigerungen führen, die sich auf die Budgets der Verbraucher auswirken und die Ernährungssicherheit verringern würden. Beispielsweise würde entsprechend der Studie der CAU eine vollständige Umsetzung der F2F-Strategie zu einem signifikanten Rückgang der landwirtschaftlichen Produktion (z.B. -21,4 % Getreide, -20 % Ölsaaten, -20 % Rindfleisch) und zu Preissteigerungen in der EU (z.B. +58 % für Rindfleisch, +18 % für Ölsaaten und 12,5 % für Getreide) führen. Auch in der Wageningen-Studie wird aufgezeigt, dass die geschätzten Ertragsverluste je nach Kultur bis zu 30 % bei Reduzierung des Pestizideinsatzes und bis zu 25 % bei Reduzierung des Düngemitteleinsatzes betragen können. Die Mehrzahl der Studien kommt zu dem Ergebnis, dass die Rübe, wie andere Kulturen, zwar Ertragseinbußen erleiden wird, jedoch dadurch im Vergleich zu Weizen nicht an Wettbewerbsfähigkeit verlieren sollte. Die Ertragsverluste der Zuckerrübe liegen beispielsweise in der Wageningen-Studie und der CAU-Studie zwischen 15 bis 18 % auf ähnlichem Niveau wie bei Winterweizen und Raps.

Markus Neundörfer, Südzucker AG, CFO, Finance & Controlling Division Sugar

DAS WICHTIGSTE IN KÜRZE

Durch die Umsetzung des Green Deal ist mit einem Rückgang der landwirtschaftlichen Produktion in Europa zu rechnen. Die genauen Auswirkungen sind noch nicht klar absehbar, da die praktischen Maßnahmen zur Zielerreichung noch nicht konkret definiert und umgesetzt wurden. Die Mehrzahl der Studien kommt zu dem Ergebnis, dass die Rübe, wie andere Kulturen, zwar Ertragseinbußen erleiden wird, jedoch dadurch im Vergleich zu Weizen nicht an Wettbewerbsfähigkeit verlieren sollte.

Wichtig bei der Umsetzung ist, dass theoretische Anforderungen in Einklang mit der Praxis in den Betrieben gebracht werden. Zudem sollten die steigenden Anforderungen an die europäische Landwirtschaft nicht zu einer wesentlichen Verringerung unserer Produktionskapazitäten führen, denn dies hätte Folgen für die weltweite Nahrungsmittelversorgung, die mit sozialen Ungleichgewichten und einer Zunahme der Umwelt- oder Klimaauswirkungen in anderen Regionen der Welt einhergehen könnte. Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund der Verknappung von Lebensmitteln durch den Krieg in der Ukraine von Relevanz.

Die Umsetzung des Green Deal ist eine ambitionierte Aufgabe, die alle Akteure vor große Herausforderungen stellt. Für die europäische Landwirtschaft birgt der Green Deal Risiken, aber auch viel Potenzial. Die Zuckerrübe wird auch in Zukunft ein wettbewerbsfähiger Rohstoff bleiben. Essentiell ist, dass die Politik in Europa faire Voraussetzungen zur Erreichung der Green Deal-Ziele schafft.