Markt, Politik und Ökonomie

EU-Markt koppelt sich weiter ab

Weltmarkt dreht ins Plus

Spotpreise in ungewohnten Höhen

Martin Graber, Verband Süddeutscher Zuckerrübenanbauer e.V., Ochsenfurt

Von Martin Graber Gingen bisher fast alle Marktexperten für 2022/23 von einem Erzeugungsdefizit am Weltmarkt aus, wendet sich allmählich das Blatt. Immer mehr Analysten prognostizieren nun einen kleinen Produktionsüberschuss in einer Bandbreite von etwa 0,9 Mio. t bis 4,1 Mio. t. Den jüngsten Daten des Analystenhauses IHS Markit zur Folge war der Weltmarkt in den drei zurückliegenden Jahren jeweils defizitär. Das hat zu einer signifikanten Verringerung der Zuckervorräte geführt und schließlich den Preis angetrieben. Für das Jahr 2022/23 erwartet IHS-Markit zwar eine Produktionssteigerung, beispielsweise in Thailand, Pakistan und Indien, doch wird diese durch einen ebenfalls stark wachsenden Zuckerverbrauch größtenteils aufgesogen. Es bleibt für das Jahr 2022/23 nur ein kleiner Überhang. Das Verhältnis von Vorräten zu Verbrauch bleibt deshalb mit 37,4 % weiterhin unterhalb des psychologisch wichtigen Limits von 40 %.

Hohe Volatilität am Markt

Der Zucker-Weltmarkt ist in den zurückliegenden zweieinhalb Jahren infolge der „Corona-Pandemie“ und der „Ölpreis-Rally“ sehr volatil gewesen. Von Ende 2019 bis Februar 2020 erholte sich der Markt und der Rohzuckerpreis kletterte von etwa 300 US-$/t auf rund 450 US-$/t. Dann kam es wegen der Corona-Pandemie zu einem Preissturz, was vor allem mit der Erwartung einer geringeren Ethanolerzeugung aus Zuckerrohr in Brasilien aufgrund der Mobilitätsbeschränkungen und einer daraus resultierenden höheren Zuckererzeugung zusammenhing. Doch im Jahresverlauf 2021 konnte sich der Markt fangen und die Preisentwicklung drehte ins Positive, so dass sogar Preise von über 500 US-$/t möglich waren. Für einen neuen Preisschub sorgte der Angriff der russischen Streitkräfte auf die Ukraine. Aktuell bewegt sich der Zuckerpreis am Weltmarkt bei rund 550 US-$ bzw. 520 €/t Weißzucker.

EU-Markt koppelt sich ab

Die jüngsten Erzeugungsdaten der EU-Kommission zeigen, dass sowohl die Zuckerrüben-Anbaufläche als auch die Zuckerproduktion der Europäischen Union weiter rückläufig sind. So wurde die Anbaufläche 2022/23 gegenüber dem Vorjahr nochmals um knapp 4 % reduziert. Bedeutende Flächeneinschränkungen sind in den beiden großen Erzeugerländern Polen und Frankreich vorgenommen worden. Auslöser waren schwache Erträge und verbesserte Erlöse der Alternativkulturen. Deshalb hat die EU-Kommission Ende Juni die prognostizierte Zuckerproduktion des Jahres 2022/23 auf 15,8 Mio. t zurückgenommen, was einen steigenden Importbedarf erwarten lässt.

Flächenreduktion und Trockenheit

Neben der Flächeneinschränkung sorgt zusätzlich die aktuelle Wetterlage für große Unsicherheiten hinsichtlich der heurigen Ernte. Trockenheit und hohe Temperaturen in vielen wichtigen Anbauregionen sind verantwortlich dafür, dass sich die Rübenbestände kaum noch oder gar nicht mehr weiter entwickeln.

Zusätzliche Sorgenfalten auf die Stirn treiben den Marktteilnehmer die Risiken einer unzureichenden Gasversorgung der Zuckerfabriken und explodierende Energie- und Materialkosten. Die Sorge kursiert am Markt, ob überhaupt ausreichend Zucker zur Verfügung stehen wird und wenn ja, zu welchen Kosten.

Was passiert, wenn es zu einem totalen Lieferstopp von russischem Gas kommt? Gelingt es alternative Energieträger,– wie schweres und leichtes Heizöl – zu nutzen? Auch der Import von Weltmarkt-Zucker, der vor der Verwendung erst noch durch eine Raffinerie laufen muss, ist energieintensiv und teuer.

Spotmarktpreise schießen weiter in die Höhe

Wie knapp der EU-Markt im Moment versorgt ist, zeigen die aktuellen Spot-Preise. Kurzfristig verfügbare Restmengen werden derzeit am Markt in Deutschland, Frankreich, Belgien und den Niederlanden für deutlich über 900 €/t gehandelt. Im Mittelmeerraum sind die Preise noch höher. Allerdings werden auf dieser Basis nur kleine Mengen verkauft, die bisher nur geringen Einfluss auf die EU-Preisstatistik haben.

Aber die extreme Knappheit, die sich hier ausdrückt, hat Einfluss auf die Psychologie der aktuell laufenden Preisverhandlungen zwischen den Zuckerunternehmen und ihren Kunden für Kontrakte ab Oktober. Die Ausgangslage für einen deutlichen Anstieg des Zuckerpreises in der Europäischen Union ist also gegeben. Daraus dürften sich deutlich höhere Preise für die Rüben aus der Ernte 2022 und voraussichtlich auch aus der von 2023 ergeben.

Die Aussichten für die Rübenanbauer sind also anhaltend positiv und könnten sich noch einmal deutlich verbessern, wenn der Krieg in der Ukraine hoffentlich ein baldiges Ende findet.