Anbau
Frisch aufgebaute Klebefalle im Rübenfeld, wie sie im NIKIZ-Monitoring verwendet wird.
Schilf-Glasflügelzikade
In der Rübe etabliert
Jetzt heißt es: Ärmel hochkrempeln und Lösungen finden!

Frisch aufgebaute Klebefalle im Rübenfeld, wie sie im NIKIZ-Monitoring verwendet wird.
Schilf-Glasflügelzikade
In der Rübe etabliert
Jetzt heißt es: Ärmel hochkrempeln und Lösungen finden!
Von Johannes Knab, Helen Pfitzner, Mitarbeiter im NIKIZ-Projekt im Verband der Hessisch-Pfälzischen Zuckerrübenanbauer in Worms Der fortschreitende Klimawandel, der auch dieses Jahr seine Spuren in den Rübenäckern hinterlassen hat, verändert nicht nur auf direkte Weise die Anbaubedingungen z.B. durch Spätfröste, Wasserknappheit und Extremwettereignisse. Er führt auch dazu, dass sich Wärme- und Trockenheitsliebende Schadinsekten stärker vermehren und in immer neuen Gebieten ausbreiten können.
Schilf-Glasflügelzikade – allgemein und SBR
Die Schilf-Glasflügelzikade (Petanstiridius leporinus) ist im Zuckerrübenanbau ein gutes Beispiel für einen solchen Fall. Diese in unseren Breiten grundsätzlich heimische Zikadenart erlangt unter immer mehr Rübenanbauern traurige Berühmtheit. Das Problem: Durch die Saugaktivitäten am Phloem der Pflanzen übertragen die Zikaden spezielle Bakterien (und Phytoplasmen) auf die Rüben. Durch diese Bakterien wird die sogenannte SBR-Krankheit ausgelöst, was für „Syndrome Basses Richesses“ steht und so viel wie „Syndrom verringerter Zuckergehalte“ bedeutet. Der Name ist in diesem Fall Programm: Verminderte Mengenerträge und ein bis zu 40 % reduzierter Zuckergehalt können die Folge einer Infektion sein. Äußerlich zeigt sich diese zunächst in schmalen, lanzettlichen Herzblättern. Ein Blick ins Innere einer infizierten Rübe offenbart die stark verbräunten Leitbündel. Ab dem Spätsommer resultiert dies in einem großflächig vergilbten Bestand. Anders als bei der Vergilbung durch virusübertragende Blattläuse, die meist nesterweise zu beobachten ist, kann sich der Befall mit der Schilf-Glasflügelzikade und der SBR-Krankheit über den gesamten Schlag hinweg abzeichnen. Im Jahr 2022 konnte auf einer Fläche von ca. 50.000 ha im Südwesten Deutschlands der Befall nachgewiesen werden, Tendenz steigend.
Lebenszyklus
Zum jetzigen Zeitpunkt ist über den Lebenszyklus der Zikaden folgendes bekannt: Die ersten Individuen tauchen ab Mitte Mai in den Zuckerrübenbeständen auf und lassen sich – abhängig von der Witterung – bis in den Frühherbst hinein dort an den Pflanzen saugend feststellen. Eine infizierte Zikade überträgt so die Bakterien auf die Rübenpflanze. Saugt eine nicht infizierte Zikade an dieser Pflanze, nimmt sie auf diese Weise die Krankheitserreger ebenfalls auf und kann sie auf weitere Pflanzen, die sie als Nahrungsquelle nutzt, übertragen. Nach der Paarung legen die Weibchen ihre Eier im Boden an die Zuckerrüben ab. Daraus schlüpfen die teilweise bereits ebenfalls bakterienbeladenen Nymphen, welche sich bis zur Ernte an den Rübenpflanzen ernähren. Wird die Rübe geerntet, folgt meist der Winterweizen. Die Zikadennymphen überwintern im Boden und im darauffolgenden Frühjahr, genauer ab erreichen einer Temperatursumme von 750 °C, kriechen die ausgewachsenen Zikaden aus dem Boden und fliegen in nahegelegene Zuckerrübenbestände, woraufhin der Kreislauf erneut beginnt.

Zwei Schilf-Glasflügelzikaden auf einem Rübenblatt. Das größere Tier ist das Weibchen, das kleinere das Männchen. FOTOS (2): Nikiz
Monitoring
Ganz grundsätzlich gilt es, die Schilf-Glasflügelzikade intensiv im Auge zu behalten, um das Ausmaß des Problems beurteilen zu können. Zu diesem Zweck befasst sich das NIKIZ-Projekt unter Federführung des Hessisch-Pfälzischen Zuckerrübenanbauerverbandes mit einem großflächig angelegten Monitoring in den Starkbefallsregionen Rheinhessen, Pfalz, Südhessen und der Südpfalz. Durch standardisierte Methoden mittels Klebefallen wurden in den Jahren 2021 und 2022 ab dem ersten Auftreten im Mai die Zuflugsraten der Zikaden in die Zuckerrübenschläge einmal wöchentlich erfasst.
Die Daten für 2022 zeigen eine große Variabilität über die unterschiedlichen Regionen hinweg. Dabei lässt sich erkennen, dass insbesondere Rheinhessen und Südhessen sehr große Vorkommen der Zikaden aufzuweisen hatten. Diese Zahlen lagen zum Teil höher als 2021, sodass von einer deutlichen Zunahme der Zikadenpopulation ausgegangen werden kann.
Die nördlichen Standorte des Monitorings zeigten die geringsten Fangzahlen, blieben von einem Befall aber nicht verschont. Insgesamt muss festgestellt werden, dass die Anzahl gefangener Tiere pro Fläche und Fangdatum in den vergangen drei Jahren um ca.70 % zugenommen haben. Teile der Ergebnisse sind unter https://nikiz.de/aktuelles/ zu finden.
Forschungsbedarf
Die Forschung rund um die Zikade und die SBR-Krankheit läuft in verschiedenen Forschungseinrichtungen in Deutschland auf Hochtouren. Dabei gelingt es besonders, die Biologie dieses Schädlings bezüglich Verhalten und Entwicklung immer besser zu verstehen. Das Wissen ist von enormer Bedeutung, da nur so zielgerichtet geforscht werden kann, wie und wann die Zikaden bekämpft werden können. Eine Strategie zur Reduktion der Zikaden im Feld ist unabdingbar, um die enorme Schlagkraft der SBR-Krankheit reduzieren zu können. Alternative Ansätze wie Fruchtfolgen oder der Einsatz von insektenvernichtenden Fadenwürmern zeigten zwar reduzierende Effekte (Reduktion der Zikaden um 30 % im Freilandversuch), jedoch fehlt bisher der durchbrechende Erfolg. Auch unterschiedliche Bodenbearbeitungsformen zeigen bisher keine einheitlichen Auswirkungen auf die Nymphen im Boden. Bei aller Innovationsfreude steht zum jetzigen Zeitpunkt deshalb eines fest: Kurz- und mittelfristig führt kein Weg an einer angepassten Sortenwahl vorbei. Schon jetzt sind zumindest tolerante Sorten bekannt, deren Zuckergehalt trotz Befall deutlich höher liegt als bei nicht toleranten Sorten.

Helen Pfitzner

Johannes Knab
