Markt, Politik und Ökonomie
Sylvie Brunel
Gesellschaft
Mit Zuckerrüben auf die großen Herausforderungen der Welt antworten
Interview mit Sylvie Brunel, Schriftstellerin und Geografin

Sylvie Brunel
Gesellschaft
Mit Zuckerrüben auf die großen Herausforderungen der Welt antworten
Interview mit Sylvie Brunel, Schriftstellerin und Geografin
Die Geografin, Wirtschaftswissenschaftlerin, ehemalige Präsidentin der französischen Organisation „Aktion gegen den Hunger“ und Professorin an der Universität Sorbonne, Sylvie Brunel, hat „Warum Landwirte die Welt retten werden“ und eine „Geografie verliebt in den Mais“ veröffentlicht. Seit kurzem begeistert sie sich für Rüben und Zucker.
Woher kommt Ihre Leidenschaft für die Landwirtschaft und insbesondere für Kulturpflanzen, die in der Öffentlichkeit wenig geschätzt werden, wie Mais und jetzt die Zuckerrübe?
Siebzehn Jahre humanitärer Arbeit, zuerst bei „Ärzte ohne Grenzen“ und dann bei „Aktion gegen den Hunger“, haben mich von der absoluten Notwendigkeit einer effizienten, Nahrungsmittel erzeugenden und dynamischen Landwirtschaft überzeugt, die denjenigen, die sie betreiben, angemessen entlohnt und den Verbrauchern erst den Zugang zu Nahrungsmitteln verschafft. Diejenigen, die in der Welt hungern, sind die Armen, diejenigen, die keine Kaufkraft haben. Mais ist das weltweit führende Getreide, das in mehr als 150 Ländern vertreten ist, hochproduktiv, sehr anpassungsfähig und vielseitig einsetzbar. Aber das wird kaum wahrgenommen und zu Unrecht kritisiert. Als ich all die Fähigkeiten der Zuckerrübe entdeckte, ihre unglaubliche Geschichte sowohl in geopolitischer und züchterischer Hinsicht, aber auch bezüglich des für ihre Produktion erforderlichen hohen Fachwissens, konnte ich nicht umhin, eine Parallele zwischen diesen beiden ebenso unverzichtbaren wie unbekannten Nahrungspflanzen zu ziehen.
Eines Ihrer Bücher trägt den Titel: „Warum die Bauern die Welt retten werden“. Was ist Ihr Hauptargument dafür?
Das erste menschliche Bedürfnis ist Nahrung (und natürlich Wasser). Nur Bauern besitzen das Vermögen, uns richtig zu ernähren und dabei die Potenziale, die uns die Natur bietet, zu nutzen. Man kann sich selbstverständlich den ländlichen Raum ohne Landwirte vorstellen, aber dann würden wir uns der Kulturlandschaften berauben, einer durch nichts zu ersetzenden Speicherung von Kohlenstoff, all der Nahrungsvielfalt, die die Landwirtschaft erzeugt und der nachwachsenden Rohstoffe, die es ermöglichen, fossile Quellen zu ersetzen... Kurz gesagt, wenn wir mit der Natur und in deren Dienst arbeiten, haben wir das Vermögen, die Welt zu retten und alle Antworten auf die großen Herausforderungen der nachhaltigen Entwicklung zu geben.
Könnte die Schließung von Anlagen zur Herstellung von Stickstoffdünger zu einer Rückkehr von Hungersnöten führen?
Natürlich. Die Frage der Verfügbarkeit von Düngemitteln ist strategisch und lebenswichtig, insbesondere wenn man die niedrigen Erträge der Landwirtschaft im globalen Süden sieht. Der Ukraine-Krieg bedroht die Versorgung armer Länder. Was mir bei der Zuckerrübe aufgefallen ist, ist die Tatsache, dass wie bei der Mais- oder Schweineproduktion alle Nebenprodukte ohne Verluste verwertet werden können. In gleicher Weise können Knappheiten, sei es bei Düngemitteln, Futtermitteln oder Energie, durch die intelligente Nutzung aller Coprodukte ausgeglichen werden, ohne dass es zu einer Konkurrenz mit der Nahrungsmittelproduktion kommt!
Sie sprechen von „Öko-Angst“, der Angst vor dem Klimawandel. Aber es scheint nicht so viel Angst vor einem Mangel an Nahrungsmitteln zu geben. Was sagt das über unsere Gesellschaft aus?
Da bin ich anderer Meinung. Ich denke, es gibt auch Angst vor Lebensmittelknappheit, die die Menschen dazu bringt, sich einzudecken, sobald die Gefahr eines Mangels droht. Schauen Sie sich an, was während des ersten Covid-Lockdowns passiert ist! Denken Sie an all die Menschen auf der ganzen Welt, die nach dem Motto verfahren sind: „lieber infiziert als hungrig.“ Aber in unseren Gesellschaften gibt es auch eine Elite mit hoher Kaufkraft, großstädtisch, übersättigt bis zu dem Punkt, dass sie Ernährungsmythen erfindet, weil sie die Angst vor einem Mangel vergessen hat. Sie ist es, die sich erlaubt, landwirtschaftliche Konzepte zu fordern, bei denen weniger zu höheren Kosten produziert wird unter Inkaufnahme einer starken körperlichen Belastung und einer großen sozialen Unsicherheit. Das ist weder realistisch noch anständig!
Sie sagen: Wladimir Putin ist der König der Zuckerrüben. Ist die globale Erwärmung seine Verbündete?
Natürlich. Die globale Erwärmung setzt riesige Ackerflächen im hohen Norden frei und gibt dem größten Land der Welt, Russland, mit seinen elf Zeitzonen die Möglichkeit, Herr über Weizen, Rüben und Mais zu werden, so wie es heute Herr des Erdgases ist. Russland verfügt auch über ausgezeichnete Ackerflächen, Schwarzerden, die ihm einen echten agronomischen Vorteil verschaffen – auch wenn seine Erträge noch begrenzt sind, weil die landwirtschaftliche Techniken bei weitem nicht mit unseren vergleichbar sind. Aber Frankreich hat nur 5 % der weltweit genutzten landwirtschaftlichen Fläche ... Das hinderte uns nicht daran, lange Zeit der zweitgrößte Nahrungsmittelexporteur der Welt zu sein, eine Position, die wir leider verloren hat.
Wie sehen Sie die Zukunft der Rüben in einer Welt, die von Zuckerrohr dominiert wird?
Da es sich um eine lokale Kultur handelt, in der Region erzeugt, die vom Klimawandel profitiert (vorausgesetzt, dass das Problem des Wassers und des parasitären Drucks gelöst wird), hat die Zuckerrübe viele Vorteile vorzuweisen: Sie liefert Antworten in allen Bereichen und der Sektor macht weitere Fortschritte in Bezug auf nachhaltige Entwicklung und Kreislaufwirtschaft.
Welchen Rat würden Sie einem Ackerbauern geben, um seiner Stimme besser Gehör zu verschaffen und mit unseren Mitbürgern zu kommunizieren?
Machen Sie ein schönes Informations- und Kommunikationskonzept für die breite Öffentlichkeit, damit die Menschen anfangen, die Rübenfelder zu mögen, die Rübenhaufen am Straßenrand im Herbst (ich komme aus dem Norden!), die Silhouette der Zuckerfabriken in der Landschaft, und sich sagen: „Ich bin stolz darauf, aus einer Region zu kommen, in der eine solche Kultur existiert, die die ländlichen Räume, Arbeitsplätze und die Umwelt rettet, die Wohlstand schafft und konkrete Antworten auf die großen Herausforderungen der Welt gibt“.
Wie sollte der Zuckersektor kommunizieren?
Zucker leidet unter einer ungerechtfertigten „Saccharophobie-Krise“, ebenso wie Butter seit langem diskreditiert ist gegenüber dem Pflanzenöl. Aber Zucker ist doch das Nahrungsmittel des Glücks und der Intelligenz. Es ist kein Zufall, dass es bis ins 18. Jahrhundert von Apothekern verkauft wurde. Wenn wir früher in Frankreich über Not sprachen, sagten wir „wie ein Apotheker ohne Zucker“. In dem Roman „Madame Bovary“ stellt der Apotheker Homais süße Speisen in sein Schaufenster. Glukose ist ein essentieller Treibstoff für das Gehirn (2% des Körpergewichts, aber 20% des Glukosebedarfs des Körpers). Vergessen Sie nicht, dass Sie die Nahrung des Glücks, des Vergnügens und der Intelligenz produzieren. Es wird gerade immer deutlicher, dass synthetischen Ersatzstoffe für Zucker Herz-Kreislauf- und Gehirnprobleme verursachen. Es ist Zeit, Zucker zu rehabilitieren: Das ist ein natürliches Nahrungsmittel, das in der Welt gerne gegessen wird!
Das Interview führte François-Xavier Duquenne, Chefredakteur der Zeitschrift „Le betteravier français“ Übersetzung: Fred Zeller